Ein Beitrag von Yannick Bergling, Nico Schaper und Mario Quade, entstanden im Rahmen des Seminars „jUBiläum – aus den Akten ins Netz“.
Die Corona-Pandemie ist zu unser aller Freude kein bestimmendes Thema mehr. Die auferlegten Schließungen und das Social Distancing sind längst Vergangenheit. Als diese Instrumente der Kontaktbeschränkung noch aktuelle waren, waren auch viele Kultureinrichtungen weltweit davon betroffen. Manch einem Museum, Theater oder sogar Bibliothek drohte durch die fehlenden Besuchenden die Schließung. So sah sich das Brooklyn Museum gezwungen 12 Werke in Auktionen zu versteigern. Im The Guardian laß man: „Michelangelo verkaufen oder 150 Jobs verlieren“.
Wie ist die Lage in Deutschland?
In Deutschland sind Kultureinrichtungen mit der Sicherung, Pflege und Erforschung ihrer Bestände meist per Satzung verpflichtet. Ein Verkauf von Beständen ist daher so gut wie ausgeschlossen. Der Begriff Kultureinrichtungen umfasst neben Museen, Gedenkstätten, Theater, Archiven aber auch Bibliotheken. Barbara Lison, leitende Bibliotheksdirektorin der Stadtbibliothek Bremen und ehemalige Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes, sieht in Bibliotheken eine öffentliche Institution zur Bereitstellung von Wissen und Informationen aufgrund „ihrer Nachhaltigkeit, ihrer Neutralität und ihrer Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen„.
Dennoch ist der Verkauf von Bücher- oder auch Magazinbeständen zum Selbsterhalt teilweise unumgänglich, auch weil Bibliotheken nur ein begrenztes Platzangebot zur Verfügung haben um Wissen und Informationen zugänglich zu machen. Ein Beispiel für diese Praxis lässt sich in dem Universitätsarchiv der Technischen Universität Braunschweig finden.
Der Verkauf des Theatrum Europaeum 1916
In den 1890er-Jahren plagen die Bibliothek der Technischen Hochschule Braunschweig zwei massive Probleme: Es fehlt das nötige Geld um wichtige Literatur und Zeitschriften zu erwerben und es fehlt der Platz um all die Bücher gesammelt an einen Ort aufzubewahren. Beide Probleme lassen sich durch eine Maßnahme kurzfristig mildern. So entschied man sich das Theatrum Europaeum und den restlichen Bestand der humanistischen Abteilung, die nicht an die Herzogliche Bibliothek Wolfenbüttel gegangen ist, weiter zu reduzieren und damit auch noch einen Gewinn zu erzielen. Was ist aber eigentlich das Theatrum Europaeum? Bei dem Theatrum Europaeum von Matthäus Merian handelt es sich um ein deutschsprachiges, 21 Bände starkes Geschichtswerk. Es entstand zwischen 1633 und 1738 und behandelt unter anderem ausführlich den Dreißigjährigen Krieg. Weiterer Bestandteil sind 720 Kupfertafeln.
Bei einer Kommissionssitzung Anfang 1915 wird der Entschluss zum Verkauf des Werkes getroffen. In einer Korrespondenz mit der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel werden, neben der Versicherung über weitere Exemplare in der Region, auch Interessenten für einen möglichen Kauf des Theatrum Europaeum genannt. Der Kaufpreis für eine vollständige Ausgabe des Werkes soll bei ca. 800 Goldmark liegen. Laut Bundesbank entsprechen 1915 800 Goldmark heutzutage inflationsbereinigt 3,596€. Zum Vergleich liegt das durchschnittliche Jahresgehalt 1915 bei etwa 1178 Goldmark. Über mehrere Monate wird mit Antiquitätenhändlern in Frankfurt, Leipzig und München verhandelt, bis es schließlich zum Verkauf an Karl Heß, einen der Interessenten aus München, kommt.
Um sich ein Bild über den Zustand der Bücher und Kupferstiche zu machen, soll ihm die Bibliothek jeweils ein Buch im besten als auch das Buch im schlechtesten Zustand zuzusenden. Dieser Bitte ist die Bibliothek selbstverständlich nachgekommen und versichert, dass die Reihe vollständig sei und alle Kupfertafeln beilägen. Nach einer ausgiebigen Überprüfung und der Rücksendung der Bücher unterbreitet Heß der Bibliothek sein Angebot für das Theatrum Europaeum. Im Gegensatz zu den anderen Buchhändlern ist Heß bereit für das ganze Werk 1000 Goldmark zu zahlen. Die Bibliothek schickte die restlichen Bücher und Kupferstiche nach München und am 15. September 1916 meldet Heß die erfolgreiche Zustellung eben dieser. Im selben Brief an die Bibliothek bestätigt er auch die Einzahlung der 1000 Goldmark und bittet um eine Empfangsanzeige.
An diesem Punkt könnte man den Verkauf des Theatrum Europaeum als erfolgreich abgeschlossen bezeichnen. Die Bibliothek hat 1000 Goldmark für Neuanschaffungen und Platz für ebendiese geschaffen. Ziel erreicht.
Kurze Zeit später meldet sich Karl Heß erneut bei der Bibliothek und beschwert sich. Anscheinend war der Großteil der Bücher in einem schlechteren Zustand als zunächst behauptet. Erschwerend kommt hinzu, dass das Theatrum Europaeum nicht vollständig ist. Es fehlen mehrere Bände und Kupferplatten. Zwar tritt Heß nicht von seinem Kauf zurück, fordert aber eine Erstattung von 200 Mark. Dabei wusste die Bibliothek wahrscheinlich, dass das Werk nicht vollständig ist, da sie von anderen Interessenten darauf hingewiesen wurden. Es kann also nicht aus heiterem Himmel für die Bibliothek gekommen sein. Ob deswegen ein generell höherer Verkaufspreis angestrebt wurde, um weniger Verlust zu haben, sobald der mangelhafte Zustand des Werks offensichtlich werden würde, lässt sich nicht in den Protokollen, Briefen oder Notizen erkennen und wäre daher reine Spekulation.
Der Verkauf endete letztlich mit der Rückzahlung der 200 Mark an Karl Heß.
Fazit
Da es sich bei Bibliotheken, wie bereits festgestellt, um Kultureinrichtungen handelt, nimmt bei ihnen die Sicherung von Wissen und Informationen eine essenzielle Rolle ein. Im Gegensatz zu Museen sind sie jedoch nicht nur für die Bewahrung von Objekten verantwortlich, sondern vor allem für die Sammlung und Bereitstellung von Wissensquellen. Diese Aufgabe erfordert eine fortlaufende Anpassung des Bestands, sowohl aus räumlichen Gründen als auch, um den Nutzerinnen und Nutzern aktuelles und relevantes Material zur Verfügung zu stellen.
Daher ist der Verkauf von Beständen oft eine schwierige und kontroverse Entscheidung für Bibliotheken. Um ihre Aufgabe gegenüber der Gesellschaft zu erfüllen, sehen sie sich manchmal gezwungen, Teile ihrer Sammlungen zu reduzieren oder zu veräußern. Auch die regionale Verfügbarkeit eines Werks kann ein wichtiger Faktor sein, wenn es um den Verkauf von Beständen geht. Eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Bibliotheken kann dazu beitragen, dass Werke auch nach einem Verkauf weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Neben der Reduktion des Bestands ergibt sich für die Bibliothek auch die Möglichkeit, durch den Verkauf neue monetäre Mittel zu erhalten. Dieser Aspekt des Bibliotheksmanagements muss jedoch sorgfältig abgewogen werden, um sicherzustellen, dass bedeutende kulturelle Werke und historisches Erbe nicht unwiederbringlich verloren gehen.
Die Frage, ob es vertretbar ist, Bestände aus öffentlicher in private Hand zu verkaufen, ist komplex und bedarf einer differenzierten Betrachtung. Einerseits kann der Verkauf dazu beitragen, dass bestimmte Werke in Privatbesitz weiterhin bewahrt und gepflegt werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass diese Werke der breiten Öffentlichkeit entzogen werden und nur einer begrenzten Zahl von Personen zugänglich sind. In jedem Fall sollten klare Richtlinien und ethische Grundsätze für den Verkauf von Beständen in Bibliotheken eingehalten werden, um sicherzustellen, dass wichtiges kulturelles Erbe geschützt und für die kommenden Generationen erhalten bleibt.
Abschließend lässt sich festhalten, dass Bibliotheken eine einzigartige Rolle als Bewahrer und Vermittler von Wissen und Informationen spielen. Der Verkauf von Beständen kann in bestimmten Situationen notwendig sein, um die Aufrechterhaltung ihrer Aufgaben zu gewährleisten. Dennoch müssen Bibliotheken bei solchen Entscheidungen stets das öffentliche Interesse und den Schutz des kulturellen Erbes im Blick behalten, um eine nachhaltige und verantwortungsbewusste Verwaltung ihrer Sammlungen zu gewährleisten.
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: Titelkupfer des Theatrum Europaeum, Wikimedia.
- Abb. 2: Briefwechsel mit der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel, Universitätsarchiv Braunschweig, UABS Best. E1 Nr. 14/1.
- Abb. 3: Mitteilung der erfolgten Zahlung an die Bibliothek, Universitätsarchiv Braunschweig, UABS Best. E1 Nr. 14/1.