Ein Beitrag von Carolin Marschke und Maria Ritter, entstanden im Rahmen des Seminars „jUBiläum – aus den Akten ins Netz“.
Die unmittelbare Nachkriegszeit stellte Braunschweig vor immense Herausforderungen. Im Krieg wurden fast 90 Prozent der Gebäude durch Bomben zerstört.[1] Auch die Technische Hochschule leidet stark in den Bombennächten. Das Hauptgebäude brennt bis zum Nordflügel komplett aus. Ebenfalls zerstört eine Sprengbombe den Luftschutzbunker der wissenschaftlichen Bibliothek, indem der wichtigste Bestand gesichert war. Allerdings stand der Wiederaufbau der Bibliothek im Schatten von Wohnräumlichen und infrastrukturellen Verhältnissen. Wie hat die Bibliothek es geschafft mit den mangelhaften Ressourcen umzugehen und wie ist das zu erkennen?
Wurden diese Fortschritte dokumentiert?
Aufschluss über die Arbeit der Bibliothek gibt seit 1947 der erstmals in der Bibliotheksgeschichte verfasste Jahresbericht von Dr. Fritz Meyen.[2] Der Bibliotheksleiter schreibt: „ein Bericht über die Arbeit der Bibliothek, verbunden mit statistischen Angaben, wurde dagegen bisher niemals veröffentlicht“.[3] Dr. Meyen lässt bis zu seiner Amtsaufgabe im Jahr 1967 über jedes Jahr eine Darstellung zusammentragen.[4] Warum ließ er diese Berichte schreiben? In jedem der vierzehn Jahrbücher beschreibt Meyen nicht nur statistische Angaben der Bibliotheksarbeit. Seine Haupttextabschnitte beziehen sich meistens auf ausführliche Darstellungen des Mangels in der Bibliothek seit dem Beginn des Wiederaufbaus 1945. Die Statistiken belegen seine Aussagen mit Zahlen. Es stellt sich also die Frage: Nutzt Dr. Meyen die Jahresberichte nur als Protest für die schlechten Verhältnisse der Bibliothek nach dem Krieg?
Die Jahresberichte: Was sagen sie über die Bibliothek aus?
Bis 1959 schreibt Dr. Meyen fast jährlich eine ausführliche Darstellung über die Räumlichkeiten der Bibliothek. Besonders die andauernden Ortswechsel stechen hier hervor. Bis 1947 nutzt die Bibliothek teilweise von den Trümmern geräumte Zimmer im Hauptgebäude und Instituten [5]. Von 1947 bis 1950 war sie erst im Bunker der Methfesselstraße untergebracht und schließlich in der Fabrikhalle der Brunsviga-Rechenmaschinenfabrik.[6] In Statistik 1 lässt sich erkennen, dass durch den Umzug 1950 erstmals ein Lesesaal entstehen konnte. Meyen schreibt im zugehörigen Jahresbericht ausführlich über die Unzulänglichkeiten vor dem Umzug und klare Verbesserung: „Die augenblickliche Unterbringung der Bibliothek, mit deren Beibehaltung noch auf die Dauer von mehreren Jahren gerechnet werden muß, ist keineswegs in allen Punkten ideal, jedoch dürfte immerhin die zweitbeste Lösung dieses schwierigen Problems erreicht worden sein.“[7] Vor allen Dingen ist im Bericht 1950/51 eine auffällige Anzahl von Fotos, die die Entwicklung darstellt. Warum genau in diesem Bericht Fotos hinzugefügt wurden und in sonst keinem anderen, bleibt offen. Es kann jedoch vermutet werden, dass Dr. Meyen im besonderen Maße auf die Verbesserungen aufmerksam machen wollte. Für ihn schienen die Räumlichkeitsprobleme fürs erste abgeschlossen.
Das Glück ist nicht von langer Dauer
Die Rechenmaschinenfabrik hat den Vertrag auf drei Jahre auslaufen lassen und die Institution musste erneut in das Hauptgebäude der Hochschule ziehen. Im Jahresbericht 1951-1954 schreibt der Leiter ausführlich über die Verschlechterung: Der Lesesaal konnte nicht aufgestockt werden, obwohl es „wünschenswert gewesen wäre“.[8] In Statistik 1 ist zu erkennen, dass sich seit 1951 auf die wenigen Arbeitsplätze eine sich andauernd erhöhende Zahl von Nutzenden einigen muss. Ebenfalls ist die Unterbringung der Kataloge und des Magazins „unzureichend“ und „katastrophal“.[9] Auch dort beschreibt eine Skizzierung der Räumlichkeiten, die laut Meyen, schlechten Verhältnisse der Bibliothek.[10]
Die Umstände ziehen sich ebenfalls durch den Bericht 1955-1959. Allerdings ist es der letzte Bericht, in dem Dr. Meyen über die räumlichen Verhältnisse ausführlich schreibt. Seit dem zweiten Umzug der Bibliothek in die Hochschule, hat sich die Anzahl der Arbeitsplätze im Lesesaal (25 Arbeitsplätze) nicht verändert. In Anbetracht des Anstiegs von 12.483 Nutzenden in den Jahren 1951 bis 1959 wird deutlich, dass die Arbeitsplätze unzureichend waren.
Ein neuer Wind zieht auf (?)
Nach 1959 werden die Räumlichkeiten nur noch unter den Statistiken des Lesesaals beschrieben.[11] Die ausführlichen Berichterstattungen haben sich nun verschoben. Statt den Räumlichkeiten steht nun der „Etat“ (Haushaltsbudget) der Bibliothek im Vordergrund. Warum spricht Meyen kaum noch von den Problemen der Räumlichkeiten? Der letzte Satz des Jahresberichts 1955-1959 gibt Aufschluss: „Pläne für einen Neubau der Bibliothek sind in Zusammenarbeit zwischen dem beauftragten Architekten und dem Bibliotheksdirektor ausgearbeitet worden (…).“[12] Es bleibt festzuhalten, dass die Anzahl der Arbeitsplätze sich bis zum letzten Jahresbericht 1966 nicht verändert hat. Zwar war schon 1959 von dem neuen Gebäude die Rede, jedoch konnte erst 1969 eine Einigung bzgl. des Bauplans gefunden werden; damit wird deutlich, warum die Arbeitsplätze nicht schon vorher erhöht wurden.
Warum der Etat?
In den folgenden Jahresberichten von 1961 bis 1963 eröffnet Meyen mit dem gleichen Absatz unter „Personal- und Sachetat“.[13] Eine offensichtliche Darstellung seiner Prioritätsveränderung?
Er schreibt dort über die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“, die 1957 Richtlinien für höhere Haushaltsmittel aufgestellt hat.[14] Klarer Protest seinerseits zeigt sich durch seine Wortwahl. Während 1962 noch von Richtzahlen gesprochen wird, die „bei weitem nicht erreicht“ wurden, wird 1963 geschrieben, dass die Bibliothek „hoffnungslos hinterherhinkt“.[15] Er zeigt eine Gegenüberstellung des „Normaletat der DFG“ und dem „Etat der Bibliothek“.[16] Auffällig ist hier, dass von den siebzehn geforderten Diplombibliothekaren der DFG bis 1963 bereits elf in der Bibliothek angestellt werden. Dies bleibt allerdings, im Gegensatz zu früher, unkommentiert. Im Gegenteil wird 1964 die „Empfehlung des Wissenschaftsrates“ vorgelegt, die höhere Zahlen veranschlagt.[17] Statt siebzehn sollen nun 22 Diplombibliothekare angestellt werden.[18] Meyen verfasst hier klare Proteste gegenüber der Menge an Personal die durch Probleme in der Haushaltskasse zu erklären sind. Wie in der Statistik 2 sichtbar ist, verändert sich die Anzahl des Personals erst Anfang der 1960er Jahre, obwohl die Anzahl an höheren Gesamtausgaben stetig steigt. Warum wird nicht mehr Personal angestellt, obwohl es augenscheinlich mehr finanzielle Mittel gibt?
Die Probleme zeigen sich in den jährlich zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln. Obwohl in der Statistik eine klare Erhöhung zu erkennen ist, kämpfte der Bibliotheksleiter, laut den Jahresberichten, vermehrt seit 1961 für mehr Geld.[19] Die von der „deutschen Forschungsgemeinschaft“ und dem „Wissenschaftsrat“ empfohlenen Geldsummen wurden meist nicht eingehalten. Im Bericht über das Jahr 1965 beschreibt der Leiter eine „Auskunft des Jahrbuchs der deutschen Bibliotheken“.[20] Laut der Auskunft, hatten andere Bibliotheken von Deutschen Technischen Hochschulen 63 Prozent mehr Geldmittel zur Verfügung als die Bibliothek in Braunschweig.[21] Er kommt zum Schluss, dass „unsere Bibliothek“ nicht mit der Entwicklung der anderen mithalten konnte.[22] Es ist eine offensichtliche Protestdarstellung über die Situation der Bibliothek.
Fazit
Die anfänglichen Fragen: Warum lässt Dr. Fritz Meyen die Jahresberichte schreiben und hat Dr. Meyen die Jahresberichte nur als Protest für die schlechten Verhältnisse der Bibliothek nach dem Krieg genutzt, können nur gemeinsam beantwortet werden. Meyen hat die Jahresberichte wahrscheinlich verfasst, um die Entwicklung der Bibliothek seit Kriegsende darzustellen. Der Protest gegenüber schlechten Verhältnissen, der in den Räumlichkeiten und dem Etat deutlich wird, zeigt wie engagiert er im Wiederaufbau war. Es sind nicht nur Protestschriften gegenüber den bibliothekarischen Verhältnissen, sondern Entwicklungsberichte, die durch starke Forderungen von Dr. Meyen Verbesserungen hervorrufen wollen.
Literatur
- Meyen, Fritz: Die Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig und ihre Schicksale seit 1939. Zugleich Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1946 bis zum 31. März 1947.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 5. Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951. Braunschweig 1951.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 6.-8. Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1951 bis 31. März 1954. Braunschweig 1954.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 10.-13. Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1955 bis 31. März 1959. Braunschweig 1959.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 14-16. Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1959 bis 31. Dezember 1961. Braunschweig 1962.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 17. Jahresbericht für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1962. Braunschweig 1964.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 18. Jahresbericht für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1963. Braunschweig 1964.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 19. Jahresbericht für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1964. Braunschweig 1965.
- Meyen, Fritz: Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. 20. Jahresbericht für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1965. Braunschweig 1966.
- Nagel, Beate: Zur Geschichte der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig 1748-1972. Braunschweig 1988.
[2] Vgl. Meyen, Fritz: Die Bibliothek der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig und ihre Schicksale seit 1939. Zugleich Jahresbericht für die Zeit vom 1. April 1946 bis zum 31. März 1947. S. 5.
[3] Vgl. Ebd. S. 3.
[4] Vgl. Nagel, Beate: Zur Geschichte der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig 1748-1972. Braunschweig 1988. S. 55.
[5] Vgl. Meyen: Jahresbericht 1946/47. S. 8.
[6] Vgl. Meyen: Jahresbericht 1950/51 S. 3.
[7] Vgl. ebd. S. 4.
[8] Vgl. Meyen: Jahresbericht 1951/54. S. 1.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. ebd. S. 3.
[11] Vgl. Meyen: Jahresbericht 1959/61 S. 9.
[12] Meyen: Jahresbericht 1955/59 S. 1.
[13] Meyen: Jahresbericht 1959/61. S. 1/ Meyen: Jahresbericht 1962. S.1./ Meyen: Jahresbericht 1963 S. 1.
[14] Ebd.
[15] Meyen: Jahresbericht 1962. S. 1. / Meyen: Jahresbericht 1963. S. 1.
[16] Ebd. / ebd. S. 2.
[17] Meyen: Jahresbericht 1964. S. 1.
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. Meyen: Jahresbericht 1959/61. S. 1.
[20] Meyen: Jahresbericht 1965. S. 4.
[21] Vgl. ebd. S. 5.
[22] Ebd.