Aktenschnipsel I: Hochverrat im Vieweg-Verlag?

Archivfund bei der Erschließung: Zeitungsausschnitt vom 3.8.1853, in: UABS Best. V3 Nr. 164

Braunschweig, vermutlich in den 1960er Jahren: Auf der Suche nach Informationen zur Geschichte des traditionsreichen Braunschweiger Vieweg-Verlags schnitt jemand einen Artikel aus den „Blättern der Zeit“ aus. Sorgfältig vermerkte er das Erscheinungsdatum: 3.8.1853. Er klebte den kleinen Ausschnitt aus dünnem Papier auf einen stabilen, orangefarbenen Papierkarton. Datum und Titel der Zeitung schrieb er mit Kugelschreiber darunter (heute in: UABS, Best. V3 Nr. 164)

Die Handschrift findet sich auch auf anderen solcher Ausschnitte wieder. Der Verlag feierte übrigens 1963 sein 175-jähriges Bestehen – und legte stets viel Wert auf die Pflege seiner Geschichte. In mehreren Mappen wurden Sammlungen loser Blätter, Ausschnitte, Briefe und andere Texte, angelegt, die über die lange Verlagsgeschichte und ihre Umstände Auskunft geben sollten. Nicht alle blieben erhalten; die noch vorliegenden geben einen Hinweis auf diese Sammeltätigkeit eines oder mehrerer Mitarbeiter im hauseigenen Archiv.

Worauf war der Mitarbeiter in den „Blättern der Zeit“ unter der Unterschrift „Neueste Nachrichten“ aufmerksam geworden? „So eben erfahren wir“, beginnt die knappe Meldung, „daß gegen den Verleger des Werks ‚das Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig nebst Motiven, Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 1840‘ noch nachträglich eine Untersuchung wegen Vorbereitung zum Hochverrathe eventuell wegen Aufreizung und Vorbereitung von Mißvergnügen eingeleitet werden soll, weil in dem Inhaltsverzeichnisse jenes Werks das Wort ‚Hochverrath‘ mit einem um die Hälfte kleineren Anfangsbuchstabe als die Initialen der übrigen Wörter gedruckt ist.“

Ein Blick in das fragliche Buch mit der UB-Signatur 2301-3333  zeigt allerdings: Der Drucker hat die Buchstaben in schöner Regelmäßigkeit und gleich groß gesetzt. Keine Spur eines verräterischen Eingriffs in das Layout der herrschaftlichen Gesetzgebung. Und zudem: ein Hochverratsprozess wegen eines zu klein geratenen Buchstabens?

Das Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig, 1840, Belegexemplar des Verlags im Magazin der Universitätsbibliothek

Das Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig, 1840, Inhaltsverzeichnis

Vielleicht wurde der Fall nicht weiter verfolgt. Die Aussicht auf Ermittlungen hätte vermutlich dennoch eine Akte bei den zuständigen Stellen des Herzogtums Braunschweig nach sich gezogen. Erste Nachforschungen im Landesarchiv Wolfenbüttel blieben ergebnislos. Handelt es sich hier etwa um eine Zeitungsente? Was der Verlag selbst zu den schwerwiegenden Verdächtigungen zu sagen hatte oder ob er den Verdacht schnell aus der Welt schaffen konnte, ist leider mangels Quellen nicht bekannt. Das Belegexemplar des Verlags enthält keine Hinweise auf eine möglicherweise schwierige Verwicklung durch die Veröffentlichung. Auch der fleißige Mitarbeiter im Verlagsarchiv hat keine zusätzlichen Bemerkungen zu diesem Fund hinterlassen.

Edit: Über die „Blätter der Zeit für das bewaffnete Volk“, wie der Titel der Zeitung vollständig lautet, ist nicht viel herauszubekommen. Vermutlich aber handelt es sich um – ein politisches Satireblatt. Die Nachricht ist also keine Zeitungsente, vielmehr ein, so könnte man die Meldung verstehen, empörter Warnruf: Bei so viel Zensur aus mehr oder weniger nichtigen Gründen und ähnlichen Eingriffen in die Arbeit der Verlage und Druckereien sei es wohl nur noch ein kleiner Schritt, bis einem gar die Größe der Buchstaben zum Verhängnis werde.